Studie belegt: Wohnen macht arm
13.12.2024
Die Paritätische Forschungsstelle hat eine bahnbrechende Berechnung zur Wohnarmut in Deutschland veröffentlicht. Die Ergebnisse zeigen ein alarmierendes Bild: Deutlich mehr Menschen als bisher angenommen leben in Armut, wenn die Wohnkosten berücksichtigt werden. Die steigenden Mieten belasten vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen überproportional. Viele Haushalte geben inzwischen mehr als ein Drittel ihres Einkommens für Wohnkosten aus - manche sogar mehr als die Hälfte.
17,5 Millionen Menschen betroffen
Von Wohnarmut betroffen sind insgesamt 21,2 Prozent der Bevölkerung (17,5 Millionen Menschen). Das sind 5,4 Millionen mehr Armutsbetroffene als nach konventioneller Berechnung. Besonders hohe Wohnarmut gibt es in Bremen (29,3 Prozent), Sachsen-Anhalt (28,6 Prozent) und Hamburg (26,8 Prozent). Massiv betroffene Gruppen sind:
- Menschen ab 65 Jahren: 27,1 Prozent Armutsquote
- Junge Erwachsene (18-25 Jahre): 31 Prozent Armutsquote
- Alleinerziehende: 36 Prozent Armutsquote
- Alleinlebende: 37,6 Prozent Armutsquote (im Rentenalter sogar 41,7 Prozent)
- Erwerbslose: 61,3 Prozent Armutsquote
Wohnen ist Armutstreiber
„Wohnen entwickelt sich mehr und mehr zum Armutstreiber", erklärt Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. „Die Schere geht durch die steigenden Wohnkosten immer weiter auseinander.“
Begrenzung der Wohnkosten erforderlich
Die Expertise unterbreitet Vorschläge, mit welchen sozialpolitischen Maßnahmen die Armutslücke geschlossen werden kann. Die Zahlen unterstreichen die Notwendigkeit einer ambitionierten Wohnungspolitik. Armutsbekämpfung erfordere eine Begrenzung der Wohnkosten. Deshalb müsse auf das bestehende Marktgeschehen stärker Einfluss genommen werden. In der Diskussion ist aktuell die 2015 eingeführte und Ende 2025 auslaufende Mietpreisbremse. Mit dem Ende der Ampel-Koalition könnte die eigentlich bis Ende 2028 geplante Verlängerung wegfallen. Es drohen massive Preissteigerungen in angespannten Wohnungsmärkten. Der Paritätische Gesamtverband ruft darüber hinaus die künftige Bundesregierung auf, neue, dauerhaft sozial gebundene Wohnungen zu schaffen. „Eine zielgerichtete Politik zur Vermeidung von Armut in Deutschland braucht gute Löhne, bessere soziale Absicherung und eine Wohnungspolitik, die Mieten bezahlbar hält“, fasst Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes die Expertise zusammen.
Menschen in NRW noch stärker betroffen
Für Nordrhein-Westfalen ergänzt Christian Woltering, Vorstand des Paritätischen NRW:
„In Sachen Armut ist NRW längst nicht mehr das soziale Gewissen der Republik. Besonders besorgniserregend ist, dass bei Berücksichtigung der Wohnkosten inzwischen 24 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben. Das sind über eine Million mehr Armutsbetroffene als nach konventioneller Berechnung. Beinahe jeder vierte Mensch in NRW lebt unterhalb der Armutsgrenze. Besonders betroffen sind Alleinerziehende, ältere Menschen und junge Erwachsene. Das können wir nicht länger hinnehmen, sofortiges Handeln ist gefragt. Die Landesregierung muss dringend den sozialen Wohnungsbau ausbauen, die Mietpreisregulierung verschärfen und den Mieterschutz stärken. Ohne ein entschlossenes Eingreifen wird die soziale Spaltung weiter zunehmen.“
Über die Studie
Die Studie des Paritätischen Gesamtverbands basiert auf einer Sonderauswertung durch das Statistische Bundesamt. Sie berücksichtigt erstmals die tatsächlich verfügbaren Einkommen nach Abzug der Wohnkosten (Warmmiete und Strom). Basierend auf den Zahlen des Statistischen Bundesamtes wurden die Einkommen um die Wohnkosten bereinigt und so eine Wohnarmuts-Grenze ermittelt. Diese Wohnarmuts-Formel macht ein bislang unsichtbares Ausmaß der Armut sichtbar.